Tagblatt-Kritik zum Stück „Wir sind noch einmal davongekommen“ des Bürger___Ensembles

von Jana Breuling

Bleibendes vom Menschen an sich

Hingebungsvoll und einfühlsam spielten die elf Darsteller des Bürgerensembles Thornton Wilders „Wir sind noch einmal davongekommen“.

Das weltberühmte Theaterstück von Thornton Wilder mit dem Originaltitel „The Skin of your teeth“ gewann 1943 den Pulitzer-Preis und wurde in zahlreichen Theaterhäusern aufgeführt. Nun wagte sich das hiesige Bürgerensemble des Theaters am Torbogen unter der Regie von Michael Miensopust an das komplexe und anspruchsvolle Stück „Wir sind noch einmal davongekommen“. Das Ensemble brachte mit überzeugendem Schauspiel das streckenweise kabarettistisch-ulkige teils mystische Werk auf die Bühne.

Dessen Komplexität wurde in drei Handlungsebenen komprimiert: Es gab eine Videoebene, eine Erzählebene und die aktuelle Gegenwart. In den Videosequenzen wurden große Zeitsprünge überbrückt. In der Gegenwart – der Aufführung – ließen die Darsteller das Publikum an dem
Erschaffungsprozess des Stücks teilhaben. Trotzdem dauerte das Stück fast zwei Stunden, in denen das Bürgerensemble den rund vierzig Zuschauern einen Schwall geistiger Vollwertkost servierte, die erst einmal verdaut werden musste.

Über eine anfangs platzierte Videoebene lernte das Publikum die Protagonisten kennen. Der Einspieltrailer zeigte die durchschnittliche amerikanische Familie Antrobus, bestehend aus Mutter, Vater, Sohn und Tochter. Dass „Antrobus“ vom altgriechischen anthropos („Mensch“) herrührt, ist von zentraler Bedeutung. So steht die Familie Antrobus in Thornton Wilders Werk für den Menschen an sich.

Gespickt mit Irritationen

Die Zuschauer erlebten einen Abend voller Staunen, sich Wundern, das Stück ist gespickt mit Irritationen, die sich teils während der Aufführung, teils auch erst im Nachgang erschlossen.

Die Kulissen, Requisiten und Kostüme verhießen künstlerischen, originellen Tiefgang. Mobile Stellwände aus weißen Tetrapacks, ein zerschlissener Liegestuhl und zwei Stühle aus dem Zuschauerraum bildeten die Kulissen für „Wir sind noch einmal davongekommen“. Sollten die beiden Publikumsstühle symbolisch für die Integration des Publikums auf der Bühne stehen? Pinkfarbene Kostüme symbolisierten das Zeitalter des Vergnügens.

Für anfängliche Irritation sorgte der Umstand, dass das Stück mehrere Zeitebenen auf der Bühne zusammenbringt. Die Darsteller agierten in der Eiszeit, in der Zeit der Sintflut sowie im zweiten Weltkrieg – zugleich. Dinosaurier und Mammut standen neben modern gekleideten Darstellern mit Skibrillen. Die Menschheit trägt eben ihre ganze Geschichte in sich. Dazu gehören auch Meilensteine und Errungenschaften, etwa die Beherrschung des Feuers, die Erfindung des Rads und andere technische Fortschritte, die Erfassung des Zahlenraums, das Alphabet, Bücher und immer wieder: die Heilige Schrift.

Kain, Moses, eine Wahrsagerin und Musen traten auf und verkörperten, was der Mensch war, was er ist und was er immer bleiben wird. Gefühle wie Habgier, Hass, Rachsucht, Liebe, Mut und Hoffnung wurden mit faszinierendem Schauspiel umgesetzt. Philosophisch und psychologisch vielschichtig und tiefsinnig sind viele Szenen – etwa mit Familie Antrobus, die keine Fehler macht, nach Perfektion, Leistung und Fortschritt strebt. Sodass der Vater das Leben aufgeben will, bis die Tochter ihm einen kleinen schulischen Erfolg mitteilt und ihn dadurch neue Hoffnung schöpfen lässt.
Mit hingebungsvoller Mimik,
Gestik und ausdrucksvoller Sprache brachte das Bürgerensemble menschliche Auseinandersetzungen, Selbstzweifel, Selbsterkenntnisse und alltägliche Probleme auf die Bühne.